Seit 15 Jahren reist die High Society der Informatik-Welt zu einem einsamen Schloss im nördlichen Saarland, um dort über neueste Forschungsergebnisse zu diskutieren. Seit 1. Januar 2005 gehört Schloss Dagstuhl deshalb zur Leibniz-Gemeinschaft, die bundesweit herausragende Forschungszentren vereint. Wir haben Reinhard Wilhelm, Informatik-Professor in Saarbrücken und wissenschaftlicher Direktor von Schloss Dagstuhl, gefragt, was für ihn das Besondere an dieser Forschungseinrichtung ist.
Herr Professor Wilhelm, wer kommt in das internationale Begegnungs- und Forschungszentrum auf Schloss Dagstuhl?
Nach Dagstuhl reisen Informatik-Forscher aus der ganzen Welt, um hier intensiv ihre aktuellen Forschungsergebnisse zu diskutieren. An den Tagungen dürfen nur Wissenschaftler, Doktoranden und Fachleute aus der Industrie teilnehmen, die als Experten des jeweiligen Themas gelten. Jede Woche kommen dadurch rund 50 internationale Gäste ins nördliche Saarland, im ganzen Jahr sind es mehr als 2500.
Warum darf nicht jeder Wissenschaftler an den Tagungen teilnehmen?
Wir wollen den Tagungsteilnehmern Forschungsdiskussionen auf hohem Niveau garantieren. Deshalb begutachten wir vorher das Programm und die Teilnehmerlisten für jedes der über 40 so genannten „Dagstuhl-Seminare“ pro Jahr. So versuchen wir, die Qualität dieser Tagungen zu garantieren. Wo Dagstuhl drauf steht, muss auch Dagstuhl drin sein. Zu den Referenten zählen unter anderem Informatik-Forscher der amerikanischen Eliteuniversitäten wie Berkeley und Stanford. Auch fast alle Preisträger des wichtigsten Forschungspreises in der Informatikwelt, des Turing Award, haben bereits an Dagstuhl-Seminaren teilgenommen.
Welche Forschungsthemen werden behandelt?
In diesem Frühjahr finden zum Beispiel Tagungen zu Multimedia-Entwicklungen, zur verbesserten Datensuche im Internet und zur Künstlichen Intelligenz statt. Dazu erwarten wir Referenten aus den USA, Kanada, Japan, China und den europäischen Ländern. Viele Forschungsgebiete, die heute aus der Informatik nicht mehr wegzudenken sind, wie z. B. die Bioinformatik und das semantische Web wurden erstmals intensiv auf Schloss Dagstuhl diskutiert.
Was schätzen die Wissenschaftler besonders an Schloss Dagstuhl?
Das Schloss Dagstuhl liegt in schöner Landschaft am Ortsrand von Wadern und bietet dort klösterliche Ruhe. Es gibt keine Ablenkung. Für die Forscher ist es das ideale Umfeld, um fernab vom Alltagsstress intensiv zu diskutieren und neue Ideen zu entwickeln. Dies passiert nicht nur während der eigentlichen Tagung, sondern auch abends bei einem Glas Wein im Weinkeller.
Was bietet das internationale Forschungszentrum neben den Tagungen an?
Wir haben in Dagstuhl eine der umfangreichsten Informatik-Bibliotheken Deutschlands, die rund um die Uhr geöffnet ist. Sie enthält alle relevanten wissenschaftlichen Fachzeitschriften und aktuelle Forschungsliteratur zur Informatik, überwiegend in englischer Sprache. Daher kommen auch einzelne Wissenschaftler zum Teil für mehrere Wochen hierher, um ihre eigenen Forschungen voranzutreiben. Außerdem nutzen kleinere Forscherteams, zum Beispiel von europäischen Projekten, die vorhandene Infrastruktur, um in mehrtägigen Workshops ein Thema konzentriert anzugehen.
Wie sehen Sie die Zukunft von Schloss Dagstuhl?
Seit Anfang diesen Jahres gehört Schloss Dagstuhl zu der Leibniz-Gemeinschaft. Damit haben Bund und Länder die enorme wissenschaftliche Ausstrahlung unseres Forschungsinstituts anerkannt. Bisher teilen sich das Saarland und Rheinland-Pfalz die Finanzierung pro Jahr im Verhältnis zwei zu eins. Von 2006 an werden Bund und Länder gemeinsam für Dagstuhl aufkommen. Damit ist die Finanzierung langfristig gesichert, so dass ich optimistisch in die Zukunft blicken kann. Und das gemeinsam mit unseren Gesellschaftern, zu denen neben der Universität des Saarlandes auch die Universitäten von Darmstadt, Frankfurt, Kaiserslautern, Karlsruhe, Stuttgart und Trier sowie die Gesellschaft für Informatik zählen. In Kürze werden wir als neue Gesellschafter auch noch die französische nationale Informatik-Forschungsorganisation INRIA, das niederländische Centrum voor Wiskunde en Informatica (CWI) und die Max-Planck-Gesellschaft aufnehmen. Unsere internationale Popularität wächst also eher noch. Wir sehen das auch an den Gästezahlen, die jedes Jahr steigen. Auch die Anträge für Veranstaltungen in Dagstuhl haben stark zugenommen.
Wohin muss man sich wenden, wenn man an einer Tagung auf Dagstuhl teilnehmen will?
Wir haben eine Geschäftsstelle, die an der Universität des Saarlandes angesiedelt ist und die Tagungen wissenschaftlich begleitet. Die Tagungen auf Schloss Dagstuhl müssen derzeit allerdings schon ein Jahr im Voraus beantragt werden, denn die Nachfrage internationaler Forschungsteams ist hoch. Journalisten, die gerne zu einem Thema der Informatik die international führenden Wissenschaftler befragen wollen, vermitteln wir gerne Interviews.
Interview: Friederike Meyer zu Tittingdorf